Noni

Der Weg ist das Ziel. Aber für mich, mein Ziel ist mein Weg. Also ich fühle mich ohne meine Ziele verloren. Was will ich eigentlich machen? Das ist die größte und schwierigste Frage.

Das ist das Projekt »DIE NEUEN ZEITZEUGEN«. Hier hören Sie Geschichten von Menschen, die sonst nicht erzählt werden. Die folgenden Aufnahmen sind im Herbst 2017 in Berlin, Charlottenburg-Wilmersdorf entstanden. Die neuen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erzählten, wie sie ihr Weg nach Deutschland geführt hat. Menschen aus der Nachbarschaft hörten ihnen dabei zu.

Das ist die Geschichte von Noni. Sie ist in Griechenland geboren. Im Jahr 2010 ist sie mit ihrem Mann nach Berlin gekommen. Noni hält nicht mehr viel davon, Pläne zu machen. Warum das so ist, erzählt sie jetzt in ihrer Geschichte.

Ich war nicht gezwungen eigentlich, mein Land zu verlassen, sondern ich wollte das. Ursprünglich mein Plan damals war, nach England zu ziehen, da zu studieren. Ich habe damals gedacht, was ich geplant habe, wird so sein. Ist natürlich nicht so. Es gibt so einen Spruch, den die Engländern sagen: When you make plans, the gods are laughing.

Und es ist genau so, weil ich hab' dann meinen Mann getroffen, und zwar sofort, als ich nach London gezogen bin, und sein Ziel war eigentlich Berlin. Wir sind tatsächlich hierhergekommen, und ich hab' dann nach und nach entdeckt, dass ich mag eigentlich alles hier in Berlin. Hier hab' ich gefunden, was ich immer haben möchte als Alltag, als Leben, die Leute, Nachbarschaft, Multikulti. Und ich bin froh, dass ich hierhergekommen bin.

Als Teenager hab' ich bemerkt, dass viele Sachen haben mich irgendwie gestört. Ich bin so aufgewachsen, dass ich sehr offen bin und die meisten Leute in Griechenland sind oder waren zumindest vor zehn Jahren oder vor fünfzehn Jahren nicht so: z.B. dass es total in Ordnung is', wenn man Atheist is' oder dass es auch total in Ordnung is', wenn zwei männliche Freunde von mir heiraten möchten, einander. Dass es auch okay ist, wenn ich einen ganz, ganz, ganz kurzen Rock anhabe, und das sagt nichts über meine Persönlichkeit oder mein sexuelle Orientierung oder meine Arbeit.

Das hat mich so, so tief bewegt und enttäuscht, wie die Leute mich angucken, weil mein Haar orange ist oder ich drei Piercings habe. Ich hatte dieses Gefühl sehr oft gehabt auch mit jüngeren Menschen, dass ich irgendwie etwas nicht richtig mache. Und ich glaube, dass ich irgendwann müde war von diesem Versuch, ich werde diese Welt ändern.

Gleichzeitig also hat auch dieses ganze Theater angefangen mit den Nazis, mit "Goldene Morgenröte" (Anm. d. Red.: Neonazistische Partei in Griechenland), alles war sehr unstabil in der Gesellschaft, auch politisch. Und ich dachte: Nee, jetzt hau' ich ab. Ich gehe und ich finde einen Platz, wo meine Ideen irgendwie okay und in Ordnung sind und wo ich richtig hingehör'.

Also ich bin hierher gekommen mit dem Gedanken: Jetzt is' es zu spät, eine andere Sprache zu lernen. Ich bin 23, fertig mit Sprachen, spreche schon drei andere Sprachen. Dann natürlich hab' ich gleich realisiert, dass es stört mich persönlich, die Sprache nicht zu sprechen. Jemand sagt etwas auf der Straße, ich seh' eine Werbung irgendwo, ich verstehe nicht, warum ist das so witzig und das hat mich selbst genervt.

Als wir hierher gekommen sind, konnte mein Mann ein bisschen Deutsch sprechen. Ich war immer sehr neidisch, weil ich dachte: Okay, für ihn is' es einfacher, er hat sofort einen Job gefunden, wo ich zum Beispiel mit Griechen in ein Laden arbeiten musste, weil ich keine andere Chance hatte damals. Ich hab' mich so gefangen da gefühlt, also Kaffee zu machen für Menschen, die (stöhnt) ab und zu auch rassistisch sind oder Vorstellungen haben und Ideen wie die Griechen in der 60er Jahren in Griechenland.

Der einzige Weg war eigentlich, die Sprache zu lernen und dann mit Deutschen zu arbeiten oder Leuten, die Deutsch sprechen. Und ich erinner' mich, dass ich dann angefangen habe, in die Schule zu gehen, langsam, langsam zu lernen. Mit viel Motivation von meinen Mann habe ich entschieden, ein andere Job zu suchen, und ich hab' sofort zwei Jobs gefunden, und dann hab' ich meinen Chef gesagt: Okay, das ist mein letzte Tag, ich gehe.

Ich hab' angefangen mit coolen junge Leute von überall in einen Café zu arbeiten. Mein Chef kommt aus Österreich und er hat mir nach der ersten Woche gesagt: Noni, ich hab' ein Problem mit dir. Also du verstehst gar nicht meine Witze. Er möchte auf seine sehr nette und höfliche Art und Weise sagen, dass es problematisch ist, dass mein Deutsch nicht so gut is'.

Und ich hab' gesagt fast mit Tränen in meinen Augen vor Angst, dass ich verlier' diesen Job und ich muss wieder zurück in diesen griechischen Laden. Ich hab' gesagt: Aber, aber, aber ich lerne noch Deutsch, ich bin in der Schule, ich bin A2. Bitte, ich werde es wirklich versuchen. Er wusste nicht, dass ich noch lerne und er dachte, er hat mich beleidigt und er meinte: Nee, alles ist gut! Wir probieren das zusammen. Wenn du Fragen hast, frag' mich einfach. Es war so ein schönes Gefühl, dass jemand einfach unterstützt und gibt dir Mühe und Motivation, und wirklich er hat mir unheimlich sehr geholfen in diesem Weg.

Dann hab' ich weiter mit der Schule gemacht, also ich hatte einen Job sieben Uhr morgens bis 14 Uhr in dem österreichischen Café und dann mit meinem Fahrrad sehr, sehr schnell zur Volkshochschule 14:30 Uhr bis 18 Uhr. Ich bin dann zu meinem zweiten Job gefahren, also als Küchenhilfe, und dann bis 12 Uhr nachts da gearbeitet und dann wieder so schnell wie möglich schlafen geh'n, weil dann musst' ich um 6 Uhr wieder aufstehen.

Ich muss sagen, Berlin hat mich sehr gut behandelt. Das Einzige war und ist noch mein große Stress und Angst – die Sprache. Alle anderen Sachen waren machbar und pfff hab' ich geschafft, und ich meine, man kommt hierher, man fängt an, Leute kennenzulernen, nach fünf Jahren ich habe hier, keine Ahnung, hunderte Leute kennengelernt, und den größten Teil davon kann ich jetzt anrufen oder schreiben.

Man muss immer probieren, nicht alleine irgendwie in der Wohnung zu bleiben, sondern einfach rausgehen, Leute kennenlernen. Für mich war 'n bisschen einfacher, weil ich auch mit mein Mann hier war. Wir trinken auch, rausgehen, Bar, keine Ahnung, Café. Es ist das Allerwichtigste, sogar wichtiger als die Sprache: Nicht alleine und nicht einsam zu sein.

Für mich gibt's zwei verschiedene Griechenland: Wenn ich da längere Zeit bin, zu Besuch oder wenn ich da alleine bin ohne mein Partner, hab' ich dieses Schuldgefühl, wenn jemand fragt „Wie geht's dir?“, genauso zu erzählen, wie toll geht's mir, es gibt eigentlich kein Platz für mein Glück sozusagen. Die Menschen sind grau und traurig, und alle sind arm, und alles is' voll mit Müll, und Bus kommt niemals pünktlich, und alles ist so teuer und dies und das. Das ist die eine Seite.

Und dann gibt's auch die andere Seite, wenn ich da mit mein Mann bin oder wenn ich irgendwie gut drauf bin oder für kürzere Zeit da bin. Es ist dieses Griechenland, das ich auch in Erinnerung habe als Kind. Das alles ist so voll mit Licht und Sonne, und alle sind so lustig, und egal, wie scheiße alles is', die haben noch gute Laune, weil sie sagen: Was können wir machen? Und alle sind da mehr oder weniger willkommen. Das Essen so toll is', das alles ist so schön und so grün und braun und der Himmel, und die Familie diese Zusammenkommen und dieses Gehören.

Wenn es uns gut geht, alles ist irgendwie ein kleines bisschen leichter und schöner und netter. Wenn es uns nicht gut geht, alles ist dunkel. Und deswegen glaub' ich, ich kann mein Land lieben, wenn ich nicht da lebe.

Ich habe Angst vor vielen Sachen, unheimlich viel Angst, aber Angst ist ein Gefühl, was ich nicht haben möchte, weil dann fühl' ich mich hilflos, wenn ich denke an Sachen, die ich nicht beeinflussen kann, oder Sachen, die ich beeinflussen kann, und es wird sehr schwierig, das zu schaffen. Und dieses Gefühl mag ich nicht. Ich kann keine Probleme lösen, wenn ich Angst habe. Ich glaube, was mich schließlich beruhigt, is' anderen Menschen zu helfen und jemand anderen bei seinen Ängsten zu unterstützen und nicht so sehr auf meine Angst zu konzentrieren.

Ich fühle mich manchmal, also wie jemand, der dieses Licht hat, und ich möchte gerne dieses Licht weitergeben und andere Leute motivieren, und mit diesem Licht geht diese Dunkelheit und diese, diese Angst weg. Ich habe vor einigen Monaten entschieden, jede Woche oder sehr oft, so oft wie möglich, etwas zu machen, wovor ich Angst habe. Keine Ahnung, irgendwie ins Wasser springen von irgendwo sehr hoch – das hasse ich, das macht immer mein Freund. Ich hab' das, diesmal also im September gemacht. War auch nicht so schlimm. Deutsch lernen, ich hab' Angst, hab' ich gemacht, war auch nicht so schlimm.

Am Ende nichts is' so schlimm, wie wir uns es vorgestellt haben – hoff' ich und glaub' ich. Und wenn ich mit Menschen arbeite, die so viele, also so krasse Geschichte haben, und die könnten Angst vor so vielen Sachen haben, und die haben keine. Das gibt mir Mut und Motivation, auch keine Angst zu haben.